Rund 20 % aller Deutschen haben im Laufe ihres Lebens bereits mindestens einmal psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen. Dabei stoßen Arbeitnehmer häufig auf Herausforderungen, wenn es darum geht, die Therapietermine mit ihren Arbeitszeiten in Einklang zu bringen. Schließlich haben auch Psychotherapeuten feste Praxiszeiten und Therapietermine vor oder nach Feierabend sind begrenzt und heiß begehrt. Was das für Sie als Arbeitnehmer bedeutet und wann Arbeitgeber verpflichtet sind, Beschäftigten Psychotherapie während der Arbeitszeit zu ermöglichen, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Das Wichtigste in Kürze

Ein rechtlicher Anspruch auf die Wahrnehmung eines Termins zur Psychotherapie während der Arbeitszeit kann sich aus § 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches ergeben. Jedoch kann dieser Anspruch durch Arbeits- und Tarifverträge stark eingeschränkt werden.

Prinzipiell Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Arztbesuchen

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht in § 616 eine bezahlte Freistellung von der Arbeit vor, wenn der Arbeitnehmer ohne sein Verschulden für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit daran gehindert wird, seine Arbeitsleistung zu erbringen1.

Dieser Paragraf findet insbesondere dann Anwendung, wenn Arzttermine während der Arbeitszeit stattfinden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass keine Alternativtermine innerhalb der Freizeit des Beschäftigten zur Verfügung stehen.

So sind Arbeitnehmer grundsätzlich dazu angehalten, Arzttermine außerhalb ihrer Arbeitszeit wahrzunehmen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann sich ein Anspruch auf eine bezahlte Freistellung ergeben.

Beispielsweise dann, wenn die Behandlung oder Untersuchung aus medizinischen Gründen innerhalb der regulären Arbeitszeit des Beschäftigten erfolgen muss (z.B. bei einer morgendlichen Untersuchung oder Behandlung auf nüchternen Magen). Auch dann, wenn auf absehbare Zeit nur Termine innerhalb der regulären Arbeitszeiten des Beschäftigten verfügbar sind, kann sich hieraus ein Anspruch auf eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB ergeben.

Lässt sich § 616 BGB auch auf eine Psychotherapie übertragen?

Ob sich die Regelungen des § 616 BGB ohne Weiteres auf Sitzungen im Rahmen einer Psychotherapie übertragen lassen, ist jedoch fraglich.

So muss zunächst betrachtet werden, wie es um die Dauer und Regelmäßigkeit der Psychotherapie bestellt ist. Gleichermaßen kann auch der Grund für die Therapie eine entscheidende Rolle bei der Bewertung des Sachverhalts spielen.

1. Dauer der Therapie

In § 616 BGB heißt es, die Verhinderung dürfe nur für „eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ erfolgen. Hier spielt nicht nur die Dauer der einzelnen Therapiesitzungen eine Rolle, sondern auch deren Häufigkeit.

Finden über Monate hinweg wöchentliche Therapiesitzungen während der Arbeitszeit des Beschäftigten statt, kann kaum mehr von einer zeitlich nicht erheblichen Verhinderung die Rede sein.

Insbesondere bei regelmäßigen und längerfristigen Psychotherapiesitzungen kann die dafür aufgewandte Zeit als zu erheblich angesehen werden, als dass sich ein Anspruch auf eine Freistellung nach § 616 BGB ergeben würde.

Handelt es sich hingegen um kurzfristige psychotherapeutische Maßnahmen in einer Akutsituation oder auch um ein Erstgespräch, kann § 616 BGB durchaus als anwendbar betrachtet werden.

Die Verhinderung erstreckt sich in diesem Fall auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit.

2. Ursachen und Gründe der Therapie

Doch neben der Dauer der Psychotherapie können auch die Gründe, welche den Therapiesitzungen zugrunde liegen, darüber entscheiden, ob § 616 BGB anwendbar ist – bei dieser Bewertung ist jedoch Vorsicht geboten.

In den meisten Fällen ist eine Psychotherapie arbeitsrechtlich als medizinische Behandlung zu werten. Schließlich können gerade akute Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen auch zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, während welcher ohnehin ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes besteht.

Bei nicht-akuten oder präventiven psychotherapeutischen Maßnahmen könnte die medizinische Notwendigkeit der Behandlung jedoch grundsätzlich infrage gestellt werden.2

In der Praxis gestaltet sich dies jedoch schwierig. Schließlich müssen Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber gegenüber keinesfalls Rechenschaft darüber ablegen, aus welchen Gründen sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben.

Es obliegt also in keinem Fall dem Arbeitgeber, über die Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung zu entscheiden.

Entsprechend sind die Ursachen für eine Psychotherapie weitestgehend zu vernachlässigen und könnten allenfalls im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung relevant werden.

Achtung: Anspruch nach § 616 BGB kann ausgeschlossen werden

Arbeitnehmer sollten berücksichtigen, dass § 616 BGB dispositiv ist. Das bedeutet, dass der daraus resultierende Rechtsanspruch vertraglich eingeschränkt oder auch gänzlich ausgeschlossen werden kann.

So können sowohl Arbeits- oder Tarifverträge als auch Betriebsvereinbarungen anderslautende Regelungen enthalten, welche die Arbeitnehmerrechte in Bezug auf diesen Paragrafen einschränken3.

Es empfiehlt sich daher, die entsprechenden Verträge und Vereinbarungen vorab auf dahingehende Klauseln zu prüfen.

Wie sollten sich Arbeitnehmer im Falle einer Psychotherapie verhalten?

Grundsätzlich gelten bei psychotherapeutischen Sitzungen dieselben Regeln wie bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen. So sollten Arbeitnehmer zunächst versuchen, die Termine der Psychotherapie so zu legen, dass sie außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit wahrgenommen werden können.

Bei einer Notfallsitzung, in einer Ausnahmesituation oder auch bei einem Erstgespräch können sich Arbeitnehmer hingegen durchaus auf eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB berufen.

Bei regelmäßigen, beispielsweise wöchentlichen, Sitzungen, die planmäßig und während der Arbeitszeit stattfinden, sollte hingegen frühzeitig das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht werden. Es empfiehlt sich, von vornherein mit offenen Karten zu spielen und das Vorhaben einer Lang- oder Kurzzeittherapie entsprechend zu kommunizieren.

Auch wenn die Ursachen der Behandlung nicht offengelegt werden müssen, so kann es hilfreich sein, die Dringlichkeit der therapeutischen Behandlung zu betonen. Die meisten Arbeitgeber werden sich verständnisvoll zeigen und so lässt sich oftmals eine für beide Seiten passende Lösung erarbeiten.

Wie dargelegt, kann gerade bei langfristigen Psychotherapien ein Anspruch auf eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB entfallen. Da dieser Paragraf ohnehin dispositiv ist, wird er zudem in vielen Fällen überhaupt nicht anwendbar sein.

Umso wichtiger ist es, eine einvernehmliche Einigung mit dem Arbeitgeber zu erzielen. Wenn eine bezahlte Freistellung für den Arbeitgeber nicht infrage kommt, so kann selbstverständlich angeboten werden, die entfallene Arbeitszeit entsprechend nachzuarbeiten.

Das gilt es für Arbeitgeber zu berücksichtigen

Die bezahlte Freistellung eines Mitarbeiters ist, gerade regelmäßig und über einen längeren Zeitraum, denkbar ungünstig und bereitet keinem Unternehmer große Freude.

Arbeitgeber sollten jedoch berücksichtigen, dass die psychotherapeutische Behandlung eines Angestellten im Endergebnis aus unternehmerischer Sicht wünschenswerter ist, als eine Nichtbehandlung4.

Denn wie bereits erwähnt, können auch psychische Erkrankungen zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, welche zwangsläufig mit einer Entgeltfortzahlung einhergeht.

Die frühzeitige und konsequente Behandlung psychischer Erkrankungen kann dazu beitragen, dass der betroffene Mitarbeiter mittel- und langfristig gesund und leistungsfähig bleibt. Gleichzeitig wird die Gefahr einer Arbeitsunfähigkeit reduziert.

Daher sollte es Mitarbeitern, die sich einer Psychotherapie unterziehen möchten, ermöglicht werden, die Sitzungen auch während der Arbeitszeit wahrzunehmen.

Ob mit einer bezahlten oder einer unbezahlten Freistellung gearbeitet wird, bleibt prinzipiell dem Arbeitgeber überlassen. Eine bezahlte Freistellung werden die Beschäftigten jedoch mit Sicherheit besonders zu schätzen wissen.

    Quellenverzeichnis

    Erfahren Sie mehr über unsere Redaktionellen Richtlinien

  1. § 616 Bürgerliches Gesetzbuch – Vorübergehende Verhinderung ↩︎
  2. Neurologen und Psychiater im Netz  – Therapiebedürftigkeit psychischer Erkrankung ↩︎
  3. SNS Rechtsanwälte  – Abweichungen von § 616 BGB ↩︎
  4. Haufe – Indirekte Krankheitskosten infolge psychischer Erkrankungen ↩︎